Warum früher einfach alles besser war

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Unsere Eltern wussten es schon immer, und so langsam dämmert es auch uns: Früher war einfach alles besser!

Es dürfte vor allem die Sehnsucht nach den “guten alten Zeiten” sein, die viele Zeitgenossen mit fortschreitendem Alter zu dieser Ansicht führt. Dabei ist eigentlich gar kein Blick durch die rosarote Brille in die Vergangenheit nötig. Zur gleichen Schlussfolgerung gelangten schon vor rund 150 Jahren ganz fortschrittsgläubige Menschen – ganz ohne Nostalgie. Dabei wollten sie eigentlich nur mehr PS aus den neuesten Motoren herauskitzeln.

Durch ihre Schrauberei fanden sie nicht nur heraus, dass alles immer schlechter wird. Sie stießen auch auf den fundamentalen Grund dafür, warum überhaupt irgendetwas geschieht und warum wir existieren. Nebenbei lüfteten sie auch noch das Geheimnis, wie das Universum einmal enden wird. Kurzum: Ihr Motor-Tuning sollte unseren Blick auf die Welt für immer verändern.

 

Pimp my Dampfmaschine

Wie kam es dazu? Die Tüftler gelangten zu der ernüchternden Erkenntnis, dass sie ihre Dampfmaschinen nicht so schnell machen konnten, wie ihnen lieb gewesen wäre. Schuld war eine Bremse, die die Natur selbst eingebaut hatte: Die für den Betrieb der Maschinen nötige Wärme verteilt sich unaufhaltsam. Dadurch geht immer ein bisschen von der Energie verloren, die eigentlich dem Antrieb dienen soll.

Dies förderte bald die Einsicht zutage, dass diese Entwertung von Energie nicht nur auf Motoren zutrifft, sondern ein absolut fundamentales Markenzeichen unserer Realität ist. Bei jeder Veränderung in dieser Welt wird nutzbare in nutzlose Energie umgewandelt! Eigentlich eine etwas deprimierende Erkenntnis, denn daraus folgte zwangsläufig, dass unser ganzes liebgewonnenes Universum langsam aber sicher in eine monotone Ödnis zerfällt, in der rein gar nichts mehr passieren kann – irgendwann ist schlicht keine nutzbare Energie mehr übrig (keine Sorge: Bis dahin sind es noch ein paar Billionen Jahre).

Wir können dieser deprimierenden Talfahrt glücklicherweise auch etwas Positives abgewinnen – uns selbst. Ohne die Zerstreuung der Energie würden wir nämlich gar nicht existieren. Sie ist hinter den Kulissen der Antrieb für alles, was überhaupt existiert. Man kann es auch so resümieren: Die Zerstreuung von Energie hat unser heutiges Universum erschaffen und wird es auch wieder vernichten.

Wer hätte gedacht, dass beim Tunen von Motoren Schlussfolgerungen von solcher Tragweite herausspringen können? Viele Wissenschaftler halten das für die einfachste, eleganteste, umfassendste – und damit auch “schönste” – Einsicht der Menschheitsgeschichte. Die Entdecker waren offenbar nicht ganz so überwältigt – sie titulierten das ganze nüchtern als “Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik” (was nichts anderes ist als Wärmelehre).

 

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Wollte eigentlich nur Dampfmaschinen verbessern und enthüllte stattdessen das Schicksal unseres Universums: Der Physiker Rudolf Clausius. Kein Wunder, dass er so ernst dreinblickt.

 

Hierzu sagte der englische Physiker Arthur Eddington, der unter anderem mit der Bestätigung von Einsteins Relativitätstheorie Berühmtheit erlangte:

“(Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik) hält meiner Ansicht nach die höchste Position unter den Naturgesetzen inne. Wenn dich jemand darauf hinweist, dass deine Lieblingstheorie vom Universum (anderen physikalische Gleichungen) widerspricht – dann ist das Pech für die Gleichungen. Wenn Beobachtungen deiner Theorie widersprechen — nun ja, Versuche gehen eben manchmal schief. Aber wenn sich herausstellt, dass deine Theorie gegen den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verstößt, dann kann ich dir keinerlei Hoffnung machen. Dir bleibt nichts anderes übrig, als in tiefste Demut zu verfallen.”

Der Physiker Thomas des Coudres schrieb, der Zweite Hauptsatz sei “der sicherste aller Erfahrungssätze, die wir kennen, sicherer als der Tod, denn der ist nur ein Spezialfall des Zweiten Hauptsatzes.”

 

Zappelei ist ansteckend

Also, wie können wir diesen berühmt-berüchtigten Hauptsatz verstehen? Wir müssen gar nicht lange suchen, um rings um uns herum diese Zerstreuung von Energie zu beobachten. Betrachten wir dazu einfach die Tasse auf unserem Tisch. Der Kaffee darin ist schön heiß, und ein Schuss Milch formt faszinierende Muster…

 

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….Aber jetzt klingelt das Telefon…

….ach ja, und ich muss ja noch die Wäsche aufhängen…

 

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…endlich kehren wir zu unserem Tisch zurück – aber was ist mit der Tasse geschehen? Der heiße Kaffee mit den schwarz-weißen Farbspielen hat sich in kaltes, braunes Einerlei verwandelt. Was sich hier soeben abgespielt hat, ist eine Manifestation der unaufhaltbaren Zerstreuung von Energie und des Sogs hin zum Gleichförmigen und damit Nutzlosen, der unser Universum beherrscht und gleichzeitig antreibt.

 

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Warum genau aber wird der Kaffee kalt und braun? Die Temperatur ist per Definition nichts anderes als ein Maß dafür, wie stark die Atome darin vibrieren: Ist etwas sehr heiß, herrscht ein wildes Gezappel; ist es kalt, handelt es sich um eine vergleichsweise harmloses Gezitter.

Der unwiderstehliche Sog zur Gleichförmigkeit besteht vereinfacht gesagt darin, dass das wilde Gezappel im heißen Kaffee ansteckend ist. Die Hitze verteilt sich, weil die aufgeregten Atome ihre Nachbarn ringsherum anstoßen, sie ebenfalls in Bewegung versetzen und sich selbst dabei beruhigen. Die Wärme und damit das Gezappel wandert zuerst in die Tischplatte, auf dem die Tasse steht, sowie in die Luft, die die Tasse umgibt – und verteilt sich von dort immer weiter. Es dauert nicht lange, und es herrscht temperaturmäßig völlige Eintönigkeit, weil sich die im Kaffee enthaltene Wärmeenergie komplett zerstreut hat.

Dabei ist die Menge der Energie zwar insgesamt gleich geblieben – das ganze Zimmer hat sich im Gegenzug minimal erwärmt. Derart zerstreute Energie ist jedoch nutzlos, weil sie keine Arbeit mehr verrichten kann. Anders gesagt: Nicht die Quantität der Energie hat sich verändert, sondern nur ihre Qualität. Auch für uns hat der Kaffee mit der Verteilung der Energie seine Nützlichkeit eingebüßt: Nur solange darin Hitze konzentriert ist, kann er uns Genuss bringen und Wärme spenden.

Warum aber geben die Atome die in ihrem Gezappel enthaltene Wärmeenergie eigentlich automatisch an ihre Nachbarn weiter? Der fundamentale Grund dafür ist, dass eine gleichmäßigere – und damit auch “unordentliche” oder “chaotische” – Verteilung der Wärme viel wahrscheinlicher ist als ihre Konzentration. Zwar könnte sich theoretisch Wärme auch von alleine in einem Punkt sammeln, aber sie tut es nicht. Der einfache Grund: Das ist so unwahrscheinlich, dass es praktisch unmöglich ist. Das gleiche Prinzip erklärt auch die Verteilung der Milch: Anfangs ist sie noch in wenigen Tropfen im Kaffee konzentriert, um sich dann von ganz allein – ohne Rühren, wie von  Zauberhand – gleichmäßig zu verteilen. Hier gilt das gleiche Prinzip: Die Milch könnte sich zwar theoretisch ebenfalls spontan wieder in einem Tropfen sammeln – aber dieser Vorgang ist so unwahrscheinlich, dass man darauf lieber nicht warten sollte.

So – nun haben wir also den Grund für den unaufhaltsamen Niedergang der Dinge erfahren. Aber gleichzeitig haben wir in dieser Kaffeetasse auch die Triebfeder dafür beobachtet, warum du und ich überhaupt existieren können. Denn paradoxerweise liefert der Sog in die Einförmigkeit den Anschub für alles Leben auf Erden.

 

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Du bist nichts weiter als ein Nebenprodukt der Fahrt ins Chaos

Der Physiker Erwin Schrödinger (vielleicht schon einmal von seiner Katze gehört, die gleichzeitig tot und lebendig ist?) schrieb in einer legendären Definition, die herausragende Eigenschaft des Lebens sei eben genau seine Fähigkeit, sich dem Zerfall in die Unordnung für eine Weile zu entziehen – nämlich bis zu seinem Tod.

Das Leben ist in all seinen zahllosen Erscheinungsformen im innern sehr kompliziert aufgebaut und damit extrem organisiert — Es ist also genau das Gegenteil von ungeordnet. Diese Organisation können wir nur durch eine ständige Zufuhr von Energie aufrechterhalten – deshalb müssen wir laufend essen!

Von weitem betrachtet erhöht sich dabei die Unordnung insgesamt. Zwar schafft unser Körper mithilfe der Energie in der Nahrung ein klein wenig Ordnung in seinem Inneren. Insgesamt jedoch erhöht sich dabei die Unordnung, weil die Verwertung von Nahrung ähnlich wie das Verbrennen von Holz in einer Dampfmaschine untrennbar mit einem Wärmeverlust verbunden ist.

Jede einzelne der zahllosen chemischen Reaktionen, die uns am Leben erhalten, kommt nur dann in Gang, wenn sich dadurch insgesamt die Unordnung erhöht und die Menge der nutzbaren Energie abnimmt. Ohne den Sog ins Chaos gäbe es überhaupt keine Reaktionen und damit auch kein Leben. Wir können nur deshalb existieren, weil die Evolution unzählige Tricks entwickelt hat, um diesen Strom der Dinge ins Chaos nutzbar zu machen. Ein Beispiel: Sowohl Nahrung als auch Sauerstoff gelangen nur in unser Blut, weil sie sich wie von Geisterhand automatisch verteilen – genau wie die Milch im Kaffee.

In den Worten des Physikers Sean Carroll sind wir deshalb nichts weiter als “Nebenprodukte” dieses Stroms. Der Chemiker Peter Atkins formuliert es so:

“Insgesamt führt der Fortgang der Welt zu einer Zunahme der Unordnung, aber hier und dort können aus einer lokalen Abnahme des Chaos daraus Strukturen wie Kathedralen und Gehirne, Dinosaurier und Hunde, Nächstenliebe und Sünden, Poesie und Hassreden erwachsen…dazu wird nicht mehr benötigt als ein Mechanismus, der sich in diese Zerstreuung einklinken kann. Genauso wie ein herabstürzender Bach genutzt werden kann, um Bauarbeiten anzutreiben, so lässt sich auch der Sog in die Unordnung nutzen.”

Dieses Prinzip kann die gesamte Geschichte unseres Universums kurz und knapp zusammenfassen: Sie ist nichts weiter als die Zerstreuung konzentrierter Energie, die mit dem Urknall ihren Anfang nahm und in sehr, sehr ferner Zukunft in einem einförmigen, eintönigen Einerlei enden wird, in dem rein gar nichts mehr geschieht. Atkins vergleicht diesen Ablauf mit einer Feder, die sich seit dem Anbeginn der Zeit unaufhaltsam entspannt.

“Die Nutzung des Zerfalls erschafft nicht nur Zivilisationen, sondern alle Ereignisse auf dieser Welt und im gesamten Universum. Er steckt hinter jedem erkennbaren Wandel – ob belebt oder unbelebt. Die Qualität der Energie ist wie eine Feder, die sich langsam entspannt. Die Qualität nimmt spontan ab und die Feder des Universums erschlafft…

Hier und da kann das Chaos vorübergehend abnehmen und Qualität aufblitzen – etwa wenn Kathedralen erbaut oder Symphonien aufgeführt werden. Aber dabei handelt es sich nur um vorübergehende und örtlich begrenzte Täuschungen, weil sich im Hintergrund die Feder unaufhaltsam entspannt. Alles wird durch Verfall angetrieben; durch nichts als grundlosen und planlosen Verfall.”

Woody Allen hat den gleichen Gedanken etwas weniger poetisch ausgedrückt. Ihm wollen wir das Schlusswort überlassen:

“Schuld ist der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik: Früher oder später verwandelt sich alles in Scheiße.”

 

 

Bibliographie:

Peter Atkins: “Why Things happen”, in: John Brockman (ed.): This Explains Everything (Harper Perennial, 2013)

Peter Atkins: Creation Revisited (Penguin, 1992)

John Tooby: “Falling into Place: Entropy and the desperate ingenuity of life”, in John Brockman (ed): This Explains Everything (Harper Perennial, 2013).

Erwin Schrödinger: What is Life? (CUP, 1944)

Sean Carroll: “The pointless universe” in John Brockman (ed.): This will make you smarter (Black Swan, 2012)

The quote from Thomas des Coudres is from Stephan Berry: Was treibt des Leben an? (rororo, 2007)


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