Unser Sternenhimmel in einem Sandkorn

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“Trillionen Kilometer”, “Milliarden Lichtjahre” – Wie um Himmels Willen soll man sich mit solchen Zahlen die Größe des Universums vorstellen? Kann man sich auch ein Bild von unserem kosmischen Zuhause verschaffen, ohne dabei über ganze Kolonnen von Nullen zu stolpern?

Wir wissen heute, dass das Universum nicht nur immens ist (wie bis vor einigen Jahrzehnten angenommen), sondern gigantisch. Aber das heißt noch lange nicht, dass es deshalb auch unvorstellbar ist. Mein Lieblingsort, um riesige Zeiträume und Entfernungen verständlich zu machen, ist der ehemalige Flughafen Tempelhof mitten in Berlin. Das weite Feld hat sich ja schon bei unserem Spaziergang zum Anfang der Zeit als nützlich erwiesen,  als tausend Jahre in eine Haaresbreite passten.

Machen wir es uns also in der Mitte des Flugfeldes bequem. Ihr werdet sehen: Unsere Alltagssorgen spielen sich in einer grandiosen Arena ab…

 

 

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Aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen…zunächst einmal müssen wir das gesamte Universum gedanklich auf die Ausmaße des Flughafens zusammenschrumpfen – eine Kugel mit einem Radius von einem Kilometer. Im Zentrum des Flugfeldes befinden wir uns jetzt auch genau im Mittelpunkt dieses kugelförmigen Miniatur-Weltraums. Dieser erstreckt sich bis zum Rand des Feldes und wölbt sich über unsere Köpfe, als hätte jemand eine immense Salatschüssel über den Flughafen gestülpt.

 

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“Langsam kommen lassen!”

 

Hat’s geklappt? Sehr schön – dann lasst uns mal sehen, was wir jetzt vor uns haben. Was können wir normalerweise mit bloßem Auge von unserem neuen Mini-Universum sehen? Wie weit reicht unsere Aussicht in den nächtlichen Sternenhimmel?

Unser Blick in die “Weiten des Alls” ist bestenfalls als kurzsichtig zu beschreiben: Wäre das Universum so groß wie das Tempelhofer Feld, befänden sich alle Sterne, die am vertrauten Nachthimmel funkeln, in einem Raum von der Größe eines Sandkorns.

In diesem Maßstab hätte unsere Milchstraße etwa die Größe einer Linse. Von ihren Hunderten von Milliarden Sternen können wir in einer sternklaren Nacht mit dem bloßen Auge nur rund 1000 in direkter Nachbarschaft der Erde sehen. Das Licht der übrigen Sterne unserer Heimatgalaxie können wir nur als streifenförmigen Lichtschleier erkennen –  sie sind zu weit entfernt, als dass wir sie einzeln wahrnehmen können.

Ungefähr so wie auf dem folgenden Bild dürfte die Milchstraße “von oben” gesehen aussehen. So genau wissen wir das nicht, weil wir ja mitten drin stecken und deshalb nicht von außen drauf gucken können! In dem roten Kreis befindet sich die Erde und der gesamte Anblick unseres Nachthimmels.

 

Milky-WayGalaxy image: Nick Risinger

 

Befinden wir uns nachts an einem wirklich stockdunklen Ort fernab von künstlicher Beleuchtung (zum Beispiel beim Zelten), dann können wir mit bloßem Auge auch noch das helle Zentrum unserer Nachbargalaxie Andromeda als milchigen Fleck am Firmament erkennen. So würde Andromeda am Himmel aussehen, wenn sie nur etwas heller erstrahlen würde – mit Mond zum Größenvergleich:

 

Andromeda (Composite photo by Tom Buckley-Houston; original pictures by Stephen Rahn and NASA/JPL-Caltech)

 

In unserem Mini-Universum ist Andromeda eine weitere Linse, die fünf Zentimeter von der Milchstraße entfernt im Raum schwebt – etwa so:

 

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Rechts die Milchstraße, links Andromeda – Oder war es jetzt andersrum? Das Universum reicht jedenfalls bis zum Horizont.

 

In noch größerer Entfernung können wir mit bloßem Auge nichts sehen, weil das Licht von weiter weg einfach zu schwach ist. Milchstraße und Andromeda befinden sich abgesehen von einigen deutlich kleineren Galaxien allein auf weiter Flur. Die nächste bedeutende Ansammlung von Galaxien verschiedenster Formen ist der sogenannte Virgo-Haufen. Er ist mit einem recht einfachen Teleskop zu erspähen. In unserem Mini-Universum ist er rund einen Meter entfernt und sieht ungefähr so aus:

 

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Was könnten wir am Abendhimmel sehen, wenn unsere Augen noch viel besser wären? Was liegt hinter den wirklich dunklen Flecken am Firmament, wo keine nahen Sterne oder Galaxien den Ausblick versperren? Zum Glück verfügen wir über ein viel lichtempfindlicheres Auge mit einer Pupille von mehr als zwei Metern Durchmesser: Das um die Erde kreisende Hubble Space Teleskop. Dieses hat für uns ungestört von irdischem Licht tagelang auf eine wirklich pechschwarze Stelle im All gestarrt und dabei folgenden Anblick registriert:

 

Hubble Ultra Deep Field

 

Dies ist die Aussicht zum Rand des Universums am Ende des Flugfeldes. Jeder einzelne Lichtfleck ist eine Galaxie ähnlich unserer Milchstraße – eine Sterneninsel aus Milliarden von Sonnen.

Das Bild zeigt einen Teil des Nachthimmels, der in Wirklichkeit etwa so groß ist wie ein Tennisball aus 100 Metern Entfernung. Der Ausschnitt ist so winzig, dass 30 Millionen solcher Fotos nötig wären, um den gesamten Himmel abzulichten. Jedes einzelne dieser Bilder würde einen ähnlichen Anblick bieten — ganz egal, in welche Richtung wir im Weltall schauen.

In unserem Mini-Universum sind viele dieser Galaxien ebenfalls so groß wie Linsen, andere ähneln eher Mais-, Reis- oder Sandkörnern. Ihre Entfernungen von uns sind sehr unterschiedlich: Die größten und hellsten mit deutlichen Formen befinden sich eher im Vordergrund des Bildes. Sie sind rund 70 Meter von uns entfernt; die übrigen sind deutlich weiter weg. Eine besondere Attraktion des Bildes, das unter dem Namen Hubble Ultra Deep Field Astronomie-Geschichte geschrieben hat, sind die eher lichtschwachen rötlichen Punkte: Sie sind bis zu 950 Meter weit weg und damit nur noch etwa 50 Meter vom Rand unseres Mini-Universums auf dem Flugfeld entfernt.

 

star wars

 

Aber der Anblick auf dem Foto reicht nicht nur bis zum Rand des Kosmos, sondern auch tief in seine Vergangenheit. Das “Lichtjahr” ist zwar eine Einheit für astronomische Entfernungen. Aber es beinhaltet auch eine Zeitangabe — es ist die Strecke, die Licht in einem Jahr zurücklegt.

Es gibt zwar nichts schnelleres als das Licht – aber in unserem Mini-Universum bewegt es sich unfassbar langsam. Allein um unsere kleine Milchstraßen-Linse zu durchqueren, benötigt es 100.000 Jahre. Um von der Andromeda-Galaxie bis zu uns zu gelangen, sind 2,5 Millionen Jahre erforderlich. Das Licht, dass wir heute von Andromeda sehen, machte sich auf seine lange Reise, als unsere entfernten Vorfahren in Afrika zum ersten mal Steine als Werkzeuge nutzten.

Das Licht der rötlichen Punkte auf dem Bild hat sogar gut 13 Milliarden Jahre zu uns gebraucht. Wir sehen diese Galaxien deshalb so, wie sie vor mehr als 13 Milliarden Jahren aussahen — wenige hundert Millionen Jahre nach der Geburt des Kosmos. Egal wohin wir im Universum blicken: Wir schauen dabei unausweichlich  einen Zeitstrahl entlang, der sich in jeder Blickrichtung von der Gegenwart in die Vergangenheit bis zum Urknall erstreckt.

Gleiches gilt natürlich auch für die entgegengesetzte Blickrichtung: Falls in einer dieser Galaxien in dieser Sekunde Wesen mit einem Super-Teleskop auf die Erde blicken, so könnten sie dort “live” die ersten Mehrzeller beobachten, oder sogar die Entstehung unseres Heimatplaneten – abhängig von ihrer Entfernung.

Jetzt muss ich wohl auch endlich einräumen, dass das Universum hinter dem Ende des Flugfeldes noch viel weiter geht und wir keinen blassen Schimmer haben, wie weit. Das Licht hatte seit dem Urknall schlicht noch nicht genug Zeit, um von dort bis zu uns zu gelangen. Deshalb befindet sich auf dem Flugfeld streng genommen nur das “beobachtbare Universum” – was dahinter liegt, bleibt für uns unsichtbar.

 

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Das waren noch Zeiten, als sich alles um uns drehte

 

Das wir uns genau im Mittelpunkt unseres Mini-Universums befinden, bedeutet deshalb auch nicht, dass wir uns im Mittelpunkt des Kosmos befinden — geschweige denn, dass es einen solchen überhaupt gibt.

Man kann unsere Situation mit einem Segelschiff auf hoher See vergleichen: Vom Ausguck auf dem Mast aus gesehen ist der Horizont in alle Richtungen gleich weit entfernt. Man befindet sich dort immer im Mittelpunkt des “beobachtbaren Meeres” – kann aber deshalb noch lange nicht behaupten, sich auch am Mittelpunkt des Ozeans aufzuhalten.

Von der Idee, der Mittelpunkt von irgendetwas zu sein, mussten wir uns schon vor langer Zeit verabschieden. Dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, verstand Kopernikus vor rund 500 Jahren. Dass die Sonne diese privilegierte Position ebenfalls nicht inne hat, dämmerte Immanuel Kant und anderen vor rund 250 Jahren. Dass es im Universum noch mehr gibt als unsere Milchstraße, ging Wissenschaftlern erst vor knapp hundert Jahren auf.

 

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Kopernikus degradierte die Erde zu einem Trabanten der Sonne. Das sollte aber noch lange nicht das Ende vom Lied sein.

 

Erst in den letzten zehn Jahren haben wir zudem herausgefunden, dass das Planetensystem um unsere Sonne – inklusive Erde – alles andere als eine Besonderheit ist. Stattdessen ist wohl die Mehrzahl aller Sterne ebenfalls von Planeten umgeben. Und wer weiß, was noch auf uns wartet: Derzeit reden sich Physiker und Astronomen die Köpfe über die Frage heiß, ob es vielleicht unendlich viele Universen geben muss…

 

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Der Schriftsteller Novalis konnte im 18. Jahrhundert noch gar nicht wissen, wie recht er hatte.

 

Ist der Gedanke an die gewaltigen Ausmaße von Raum und Zeit etwas deprimierend? Der Astronom Neil deGrasse Tyson sagte dazu einmal: “Wenn ich in den Nachthimmel schaue, dann weiß ich, dass wir Teil dieses Universums sind und dass wir uns in diesem Universum befinden. Aber vielleicht noch wichtiger als diese Tatsachen ist, dass das Universum in uns ist. Viele Menschen fühlen sich bei diesem Anblick sehr klein, weil wir klein sind und das Universum so riesig. Aber ich fühle mich sehr groß, weil meine Atome aus diesen Sternen kamen.”

Außerdem gilt: Wir könnten uns über all diese Fragen gar keine Gedanken machen, wenn das Universum viel kleiner und seine Geschichte viel kürzer wäre. In diesem Fall würden wir gar nicht existieren, weil die Zeit für unsere Evolution nicht ausgereicht hätte. Man kann es sogar so formulieren: Das Weltall muss gigantisch groß und uralt sein, weil wir heute so komplex sind. Ein gewaltiger Kosmos ist nötig, damit wir ihn in dieser Sekunde bestaunen können.

Und mögen wir noch so winzig und kurzlebig sein: Die Tatsache, dass wir uns über das Universum und unsere Existenz darin den Kopf zerbrechen können, zählt möglicherweise zu seinen größten Wundern.

 


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