Heute schon eine Pizza ausgeatmet?

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Endlich Ferien! Wir entfliehen Alltag und guten Vorsätzen – und können im Urlaub mal wieder Fünfe gerade sein lassen. So auch bei unseren Essgewohnheiten: In der italienischen Sonne sagen wir Vollkornbrot und Müsli arrivederci und dürfen endlich mal wieder ungeniert leckeres Weißbrot, Pizza und Spaghetti essen.

Dem deutschen Verdauungsapparat verpassen wir mit der plötzlichen Abstinenz von Ballaststoffen einen Kulturschock – und spätestens am fünften Tag mit Verstopfung drängt sich auf dem stillen Örtchen die Frage auf: Wo sind eigentlich die Pizzen, Ciabatta und all die anderen Leckereien abgeblieben, die wir in den letzten Tagen vertilgt haben? Die Hose mag zwar plötzlich ein wenig kneifen, aber kugelrund sind wir nun auch nicht geworden.

Aber keine Sorge – Pizzen und Spaghetti verstecken sich nicht an einem obskuren Ort unserer Anatomie, sondern sind unserem Körper längst größtenteils heimlich, still und leise entwichen. Dabei haben sie offensichtlich nicht die naheliegende Route genommen, sondern einen anderen Ausgang: Unsere Lungen. Wir haben sie schlicht ausgeatmet.

 

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Unsere unsichtbaren Verbrennungsmotoren

Eine Pizza ausatmen – Wie haben wir dieses Kunststück nur vollbracht? Eigentlich erledigt unser Körper diesen Zaubertrick Tag für Tag – ob im Urlaub oder nicht. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir es im Alltag bei regelmäßiger Verdauung nicht bemerken, sondern erst auf dem stillen Örtchen in mediterraner Hitze.

Also, wie funktioniert’s? Um dem Verbleib der südländischen Leckereien auf die Spur zu kommen, müssen wir ihren Weg durch den Körper verfolgen.

Pizza und Ciabatta bestehen fast vollständig aus Kohlehydraten, die unser Körper restlos verwerten kann. Und er kann’s kaum abwarten: Kaum ist das erste Stück abgebissen, beginnt der Speichel im Mund mit dem Zerlegen der Kohlehydrate – denn im Ursprungszustand sind sie etwas unhandlich.

Im Verdauungssystem werden die Kohlehydrate dann völlig in ihre Einzelteile zerlegt: in Zucker, denn Kohlehydrate sind nichts anderes als verkettete Zuckerbausteine. Dieser wird vom Blut zu unseren Körperzellen transportiert. Gleichzeitig nehmen unsere Lungen Sauerstoff aus der Luft auf. Sie beladen damit die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff ebenfalls bei den Zellen abliefern.

Aus diesen simplen Zutaten – Zucker und Sauerstoff – gewinnen wir nun die Energie, die uns am Leben hält. Nahezu jede einzelne unserer Körperzellen ist zu diesem Zweck mit Dutzenden bis Tausenden von klitzekleinen Verbrennungsmotoren ausgestattet. Diese sind so winzig, dass davon hunderte nebeneinander auf den Punkt am Ende dieses Satzes passen würden. Statt mit Benzin laufen sie jedoch mit Zucker.

 

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Dies sind nicht etwa Salami-Scheiben auf einer Pizza, sondern unsere Verbrennungsmotoren unter dem Mikroskop. Auf Fachchinesisch heißen sie Mitochondrien.
(Wikimedia Commons)

Die Verbrennung in diesen Mini-“Motoren” läuft im Vergleich zum Auto kontrollierter und langsamer ab, aber chemisch betrachtet ist der Prozess fast identisch. Sowohl Automotor als auch Zellen verbrennen ihren jeweiligen Sprit – ob nun Benzin oder Zucker – mit zugeführtem Sauerstoff. Dabei wird Energie frei, die entweder ein Auto antreibt – oder eben unseren Körper.

Übrig bleiben in beiden Fällen Wasser und als Abgas Kohlendioxid. Dieser verlässt den Automotor durch den Auspuff – unser “Auspuff” dagegen ist die Lunge, durch die wir Tag für Tag rund ein Kilogramm Kohlendioxid ausatmen. Darin enthalten sind etwa 300 Gramm Kohlenstoff – der wichtigste Bestandteil der Kohlehydrate aus Pizza und Spaghetti.

Diese “Verbrennung” von Zucker läuft in diesem Augenblick in Milliarden von Zellen in deinem Körper ab. Sie liefert die Energie für jede Bewegung, jeden Herzschlag, jeden Gedanken – auch diesen hier! Übrigens verdanken wir der effizienten Verbrennung von Kohlehydraten sogar unser Gehirn: In unserer Evolutionsgeschichte waren Innovationen bei der Kohlehydrat-Verwertung wohl der entscheidende Anschub für die Entwicklung des wundersamen menschlichen Denkapparats.

Dies alles ist nur möglich, weil im Mehl genau wie in Benzin viel Energie gespeichert ist – fein zerstäubt kann Mehl sogar explodieren. Dabei tut es nichts anderes, als die gespeicherte Energie bei einer rasanten Verbrennung schlagartig freizusetzen. Die Ähnlichkeiten zwischen Mehl und Benzin kommen nicht von ungefähr – beide basieren auf von Pflanzen gebildeten Kohlenstoff-Verbindungen. Eine böse Überraschung droht jedem, der den Energiegehalt von Mehl unterschätzt:

 

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1878 starben bei einer Mehlstaub-Explosion in der damals größten Mühle der USA 18 Menschen

 

Sonnenstrahlen werden zu Gedanken

Aber wo kommt eigentlich die ganze Energie her, die in Kohlehydraten und Benzin steckt? Die Quelle befindet sich in ungefähr 150 Millionen Kilometer Entfernung: Unser guter alter Heimatstern, die Sonne. Obwohl sie uns im Urlaub besonders heftig auf dem Pelz brennt, kann unser Körper die Energie ihrer Strahlen nicht direkt nutzen – das machen zunächst die Pflanzen für uns. Sie fangen die Kraft der Sonnenstrahlen ein und speichern sie in den Kohlehydraten (dieser Prozess ist die Photosynthese), die wir zu Mehl und schließlich zu Pizza verarbeiten. Auch die im Benzin enthaltene Energie wurde vor Millionen von Jahren von Pflanzen eingefangen und gespeichert – Öl und Kohle sind aus toten Pflanzen entstanden.

 

Nahrungsmittel: Weizenkorn, Bruch (Triticum) Das Bild zeigt den Schichtaufbau eines Weizenkorns im Bruch. In der Mitte des Bildes sind die Stärkekörner (gelblich), umhüllt von Zellmembranen (grau), zu sehen. Darüber liegt eine eiweisshaltige Schicht (grün). Weizen ist ein Gras, gehört zu den ältesten Kulturpflanzen und ist z.Zt das auf der Welt meist angebaute Getreide. Er dient hauptsächlich zur Herstellung von Brot und Teigwaren. 	 REM- 180x

Kleiner Weizenkorn ganz groß: Bei 180-facher Vergrößerung sind in diesem aufgebrochenen Weizenkorn die Kohlehydrat-Speicher in gelb gut zu  erkennen. (Foto: Eye of Science) 

 

Baumaterial aus Luft

Genau so wie wir auf fast magische Weise durch das Ausatmen von Kohlendioxid Gewicht verlieren, nehmen die Pflanzen durch das “Einatmen” von Kohlendioxid an Gewicht zu. Deshalb kann auch aus einem kleinen Blumentopf eine erstaunlich große Pflanze wachsen – das wichtigste “Baumaterial” entnimmt die Pflanze nicht der Erde, sondern der Luft.

 

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Das ist erstaunlich, weil wir immer wieder unterschätzen, wie viel Masse in der Luft steckt – erst eine steife Brise erinnert daran, wie schwer sie eigentlich ist:

 

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In den Pflanzen läuft der gleiche Vorgang ab wie in unserem Körper – nur andersherum. Die Pflanzen setzen die Energie der Sonne ein, um mit Kohlendioxid aus der Luft und Wasser aus dem Boden Kohlehydrate zu schmieden und dabei Sauerstoff freizusetzen – ein Prozess namens Photosynthese. Wir dagegen verbrennen Kohlehydrate mit Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser, um diese Energie wieder freizusetzen.

Alles was wir tun und denken wird somit letztendlich von einem Sonnenstrahl angetrieben, der zuerst von einer Pflanze eingefangen und dann von unserem Körper aus der Nahrung befreit wurde. Pflanzen speichern Sonnenenergie, wir Tiere setzen sie durch Verbrennung wieder frei. Jeder kann dabei die Abfälle des anderen nutzen: Die Pflanzen setzen beim Wachsen Sauerstoff als Abfallprodukt frei, ohne den wir nicht existieren könnten. Wir atmen nach dem Verzehr von Pizza und Spaghetti Kohlendioxid aus, den die Pflanzen für ihr Wachstum benötigen.

Dieser simple Kreislauf bildet die Basis für die ganze Vielfalt des Lebens auf Erden. Vielleicht kann diese Vorstellung – ebenfalls angetrieben von einem Sonnenstrahl – etwas Trost spenden, wenn wir nach einer Kohlehydrat-Überdosis in mediterraner Hitze mal wieder mit Verstopfung auf dem Klo sitzen.


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