Wo ist Pluto?

Plutostar

In dieser Woche können wir uns erstmals überhaupt Pluto aus nächster Nähe ansehen. Nach einem Anflug von fast zehn Jahren rauscht die Raumsonde New Horizons an dem rätselhaften Zwergplaneten vorbei, der rund fünf Milliarden Kilometer entfernt ist. Kann man sich eine solche Entfernung vorstellen? Das geht – mit Hilfe eines Kinder-Globus und dem Berliner Fernsehturm.

Machen wir uns also ein Bild davon, wie weit Pluto wirklich entfernt ist. Dazu schrumpfen wir zunächst gedanklich die Erde auf die Größe des Globus mit den Ausmaßen eines Basketballs. Jetzt sind es von Berlin nach New York nicht mehr 6400 Kilometer, sondern nur noch 13 Zentimeter. Die übliche Flugzeit zwischen den beiden Städten beträgt ungefähr neun Stunden. Stell dir einmal vor, wie mikroskopisch winzig in diesem Maßstab ein Flugzeug wäre, und in welchem Schneckentempo es über den Atlantischen Ozean kriechen würde!

 

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Der Mond ist jetzt nur noch ungefähr so groß wie eine Orange. In zahllosen Sachbuch-Illustrationen scheint er in Greifweite um die Erde zu kreisen. Das ist jedoch eine Notlüge, weil für eine maßstabsgetreue Darstellung das Papier einfach nicht groß genug ist — die wirkliche Entfernung vom Globus zur Orange beträgt acht Meter. Könnte ein Verkehrsflugzeug Kurs auf unseren Trabanten nehmen, wäre es zweieinhalb Wochen bis dorthin unterwegs.

Die Sonne ist in diesem Maßstab ein Feuerball mit einem Durchmesser von rund 30 Metern – so groß wie die Restaurant-Kugel im Berliner Fernsehturm. Sie ist drei Kilometer von unserem Globus entfernt, genau wie auf diesem Foto von unserer Terrasse:

 

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Mit normaler Reisegeschwindigkeit wäre unser Mini-Flugzeug 20 Jahre dorthin unterwegs. Sonnenstrahlen rasen jedoch mit Lichtgeschwindigkeit zur Erde und schaffen die Strecke deshalb in acht Minuten.

In unserem geschrumpften Sonnensystem gelangen wir in acht Minuten vom Globus zum Fernsehturm, wenn wir uns mit rund 20 Kilometern pro Stunde bewegen. (Wenn du also eine Reise mit Lichtgeschwindigkeit simulieren willst, stell einen Globus an den Wegesrand, schwing dich auf dein Fahrrad und radle in mittlerem Tempo daran vorbei. Licht ist zwar ziemlich schnell, aber sooooo schnell nun auch wieder nicht…)

Jupiter zieht als größter Planet unseres Sonnensystems in einer Entfernung von 15 Kilometern gemächlich seine Bahn um den Fernsehturm. Er bewegt sich dabei am Stadtrand von Berlin und fliegt zum Beispiel durch Spandau und Schönefeld. Für eine Runde benötigt er fast zwölf Jahre. Mit einem Durchmesser von drei Metern ist er selbst in diesem Maßstab noch ein ganz schöner Brummer. Der Ringplanet Saturn ist fast doppelt so weit entfernt; danach folgen Uranus und Neptun.

Jetzt endlich erreichen wir Pluto. Er ist in diesem Maßstab kaum größer als ein Tischtennisball und umkreist den Fernsehturm im Abstand von mehr als 100 km. Auf seiner Umlaufbahn unternimmt er eine Sightseeing-Tour durch die ostdeutschen Bundesländer und Polen. Alle 250 Jahre schaut er in Magdeburg und Stettin vorbei.

Jetzt wird so langsam klar, warum die schmeichelhaftesten Porträts von Pluto vor New Horizons so aussahen:

 

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Ich hatte also gar keine andere Wahl, als einen anderen Pluto als Titelbild zu wählen! Der Name des Mickey Mouse Hundes ist übrigens mehr als ein dummer Zufall: Er wurde 1931 nach dem frisch entdeckten Planeten benannt.

Man benötigt schon ein ziemlich gutes Fernrohr und eine gehörige Portion Glück, um von Berlin aus einen Tischtennisball in Magdeburg zu erspähen. Das liegt nicht nur an Plutos vergleichsweise winziger Größe, sondern auch an seiner miserablen Beleuchtung: Die einzige “Lampe” in unserem kleinen Planetensystem ist die Sonnenkugel im Fernsehturm. Von deren Licht kommt auf einem Tischtennisball in Magdeburg nicht mehr viel an. Da wundert es nicht, dass Pluto erst 1930 entdeckt und schon 2006 offiziell zu einem Zwergplaneten degradiert wurde – ein paar Monate, nachdem die Raumsonde New Horizons ihre Reise gestartet hatte. Kaum ein Drittel seiner Rundreise konnte er mit dem Orden “Planeten” auf der stolzgeschwellten Brust vollenden…

 

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Wenn du die Abstände auf dieser Illustrationen maßstabsgerecht darstellen willst, musst du dir einen Bildschirm zulegen, der mindestens einen Kilometer breit ist.

 

Nun gut, jetzt sind wir gedanklich bis Pluto gereist, der bis vor wenigen Jahren der äußerste Planet im Sonnensystem war. Weil Pluto so verdammt weit weg ist, könnte man meinen, dass es von dort zu den nächstgelegenen Sternen nicht mehr so weit sein kann. Aber da haben wir uns gründlich getäuscht.

Selbst in diesem verkleinerten Maßstab ist die Distanz zum nächstgelegenen Stern zu groß, um sie wirklich zu begreifen. Also verkleinern wir unser Mini-Sonnensystem einfach noch einmal – bis die Sonne im Fernsehturm nur noch so groß ist wie ein Tischtennisball.

Wäre die Sonne so groß wie ein Tischtennisball, würde die Erde unseren Heimatstern immerhin noch in einer Entfernung von gut vier Metern umkreisen. Unser Heimatplanet hat jetzt die Größe eines kleinen Sandkorns. Der Mond umkreist die Erde im Abstand von einem Zentimeter und ist kaum noch mit bloßem Auge sichtbar. Pluto ist jetzt rund 150 Meter von der Sonne entfernt.

Und wo wären unsere Nachbarsterne zu finden, wenn unsere Sonne ein Tischtennisball in Berlin wäre? Der nahegelegenste Stern, Proxima Centauri, wäre kleiner als eine Erbse und….in London!

Das Licht benötigt gut vier Jahre, um es von Proxima Centauri bis zu uns zu schaffen. In diesem Maßstab bewegt es sich jetzt in einer Sekunde nur noch etwa einen Zentimeter weit. Weitere Nachbarsterne befinden sich etwa in Rom und Moskau. Wie ihr merkt, ist das Weltall dünn besiedelt. Die meisten Sterne in der Nachbarschaft sind von der Erde nur deshalb viel leichter zu sehen als Pluto, weil sie genau wie unsere Sonne hell erstrahlen – in den dunklen Weiten unseres geschrumpften Mini-Alls sehen sie aus wie Hochleistungs-Glühbirnen.

Jetzt wird klar: Eine Reise zu einem anderen Stern bleibt auf absehbare Zeit Science-Fiction-Träumerei. Wir müssten von einem Sandkorn in Berlin aus starten und bis nach London fliegen! New Horizons bewegt sich mit der Rekord-Geschwindigkeit von über 50.000 Kilometern pro Stunde und wird dennoch zigtausende Jahre benötigen, um sich grob anderen Sternen zu nähern.

Einige andere Raumsonden rauschen bereits durch die Weiten des Alls jenseits der Planeten. Am weitesten ist dabei bislang Voyager gekommen. Als sich Voyager im Jahr 1990 etwa in der gleichen Entfernung von der Erde befand wie heute New Horizons, richtete sie ihre Kamera zurück und schoss ein Abschiedsfoto von der Erde, das unter dem Namen “Pale Blue Dot” (blassblauer Punkt) bekannt wurde.

 

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Aus dieser Entfernung ist die Erde kaum noch zu sehen – sie ist der helle Punkt in der Mitte des oberen Sonnenstrahls (der Lichtstrahl ist lediglich eine Reflexion innerhalb der Kamera). Das Foto zeigt wie kein zweites, dass Reisen in ferne Gefilde oft auch Wahrheiten über das enthüllen, was in nächster Nähe passiert. Die Idee für dieses Abschiedsfoto hatte der Astronom Carl Sagan. Seine Überlegungen zu dem Foto kann man nicht oft genug hören und lesen.

 

 

“Aus dieser großen Entfernung betrachtet, scheint die Erde nicht besonders bedeutsam zu sein. Für uns Menschen ist es jedoch völlig anders. Denken wir doch einmal über diesen Punkt nach! Dieser blaue Punkt im All ist hier, er ist zu Hause, das sind wir. Jeder Mensch, den du liebst, den Du kennst, von dem Du jemals gehört hast – jeder Mensch, den es je gegeben hat lebte hier, auf diesem Punkt.

All unsere Freude und unser Leid, tausende von überzeugten Religionen, Ideologien und Wirtschaftstheorien, jeder Jäger und Sammler, jeder Held oder Feigling, jeder Schöpfer oder Zerstörer einer Zivilisation, jeder König oder Bauer, jedes junge Liebespaar, jede Mutter und jeder Vater, jedes hoffnungsvolle Kind, jeder Erfinder und Entdecker, jeder Moralapostel, jeder korrupte Politiker, jeder »Superstar«, jeder »herausragende Herrscher«, jeder Heilige und jeder Sünder in der Geschichte der Menschheit lebte hier – auf einem Staubkorn, erleuchtet von einem Sonnenstrahl…

Man sagt, dass man demütig werde, wenn man sich mit Astronomie beschäftigt, und dass das den Charakter forme. Dieses von weit her aufgenommene Bild unserer winzigen Welt ist vielleicht das beste Beispiel dafür, wie töricht es ist, wenn wir uns einbilden, etwas Besonderes zu sein. Für mich unterstreicht es unsere Verantwortung, freundlicher miteinander umzugehen. Es unterstreicht, dass wir diesen blauen Punkt im All wertschätzen und bewahren müssen. Er ist das einzige Zuhause, das wir kennen.”

 


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