Auf die Größe kommt es an

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Kaum eine Frage könnte banaler klingen, aber was sind eigentlich die fundamentalen Unterschiede zwischen groß und klein? Ein frischer Blick kann sogar diesem scheinbar so simplen Thema überraschende und tiefgreifende Einsichten entlocken.

Zum Einstieg ein kleines Gedankenexperiment aus dem Märchenreich: Der freche Peter ist 1,60 Meter groß und wiegt 64 Kilogramm. Weil er seinen Mund nicht halten kann, legt er sich mit einer Hexe an, die ihn per Fluch auf ein Viertel seiner Größe schrumpft. Wie groß und wie schwer ist er jetzt?

Nun gut, wir können uns wohl schnell auf eine Größe von 40 Zentimetern einigen – aber was ist mit dem Gewicht? Hier wird es etwas kniffliger, denn Peter wiegt jetzt weder 16 kg (ein Viertel seines ursprünglichen Gewichtes) noch 4 kg (ein Achtel), sondern nur noch 1 kg!

Wie kommt dieses überraschende Ergebnis zustande? Es ergibt sich ganz einfach daraus, dass er vorher nicht nur vier mal so hoch war, sondern auch vier mal so breit und vier mal so dick. Das ganze lässt sich leicht mit Zuckerstücken veranschaulichen: Wenn wir einen Würfel aus Zuckerstücken bauen wollen, der genau vier mal so hoch ist wie ein einzelnes Zuckerstück, benötigen wir dafür 64 Würfel (4 hoch mal 4 breit mal 4 tief).

Da wir die Bedeutung dieser einfachen geometrischen Verhältnisse intuitiv ständig unterschätzen, sind uns auch die Konsequenzen daraus meist völlig unbewusst. Wir können es uns nur schwer vorstellen, aber es ist völlig anders, groß zu sein als klein. Das hat kein anderer besser aufgeschrieben als der Biologe JBS Haldane in seinem klassischen Essay “On being the right size” aus dem Jahre 1927.

Haldane rechnet vor, mit welchen Problemen ein Riese zu kämpfen hätte – lasst uns an King Kong denken, der 1933 erstmals die Kinoleinwand betrat. Wäre er zehn mal so groß wie ein normaler Gorilla, wäre er auch zehn mal so breit und zehn mal so dick – er würde also tausend mal so viel wiegen wie seine Zeitgenossen in Normalgröße!

Könnte er durch New York rennen und Hochhäuser hochklettern? Das dürfte schwierig werden. Die Stabilität seiner Knochen hängt von einer Fläche ab – ihrem Querschnitt. Dieser ist bei unserem King Kong aber nur nur 100 mal so groß wie bei einem normalen Affen – zehn mal so breit und zehn mal so lang. Seht ihr das Problem? Weil der Riesenaffe 1000 mal so viel wiegt, müsste jeder Quadratzentimeter Knochen das zehnfache Gewicht tragen – und King Kong würde sich beim ersten Schritt die Beine brechen.

Das gleiche Prinzip gilt für die Muskeln, deren Kraft ebenfalls vom Querschnitt bestimmt wird. Jede Muskelfaser müsste ein zehnfaches Gewicht stemmen. King Kong könnte sich also wohl gar nicht erst vom Boden erheben, um überhaupt einen Schritt zu tun. Er würde schon bei seinem ersten Auftritt statt Furcht nur Beileid verbreiten. Offensichtlich hatten die Filmemacher aus Hollywood besseres zu tun, als Haldane zu lesen – oder sie hielten sich einfach an das alte Journalisten-Motto “Lass dir durch die Fakten keine gute Story versauen.”

 

Hätte Dali bloß Haldane gelesen, bevor er zum Pinsel griff…

 Dieser Zusammenhang zwischen Größe und Gewicht ist die simple Erklärung dafür, warum echte Schwergewichte aus dem Tierreich wie Elefanten,  Rhinozerosse und Dinosaurier so dicke Beine haben – sie benötigen ganz einfach sehr dicke Knochen und massive Muskeln. Auch ein Löwe ist deshalb  nicht nur ein Katze in groß, sondern verhältnismäßig viel kräftiger gebaut. Für leichtgewichtige Insekten gilt dagegen genau das Gegenteil: Für sie sind so dünne Beine wie die eines Weberknechtes ausreichend.

Schon Galileo Galilei erkannte diesen Zusammenhang als Erklärung dafür, warum die Knochen kleiner Tiere auch relativ zu ihrer Größe so viel dünner sind als die großer Tiere.

 

tnsFig027_300Galileo bemerkte einen gravierenden Unterschied zwischen den Beinknochen von Maus und Elefant – den er allerdings etwas übertrieb

 

Aus dem rasant wachsenden Gewicht großer Tiere ergeben sich noch ganz andere Konsequenzen – für große Lebewesen birgt etwa die Schwerkraft eine enorme Gefahr, die für sehr kleine Tiere völlig bedeutungslos ist. Haldane illustriert das mit den folgenden Worten:

“Man kann eine Maus in einen tausend Meter tiefen Bergwerk-Schacht fallen lassen; sie bekommt beim Aufprall einen Schrecken und läuft davon. Eine Ratte jedoch stirbt beim Aufschlag, ein Mensch zerbricht, ein Pferd zerplatzt. Das liegt daran, dass der Luftwiderstand proportional zur Oberfläche des sich bewegenden Objekts zunimmt. Teile die Länge, Breite und Höhe eines Tieres  jeweils durch zehn; sein Gewicht verringert sich auf ein Tausendstel, aber seine Oberfläche nur auf ein Hundertstel.”

Kurz gesagt: Wer groß ist, schlägt viel härter auf. Das gleiche Prinzip erklärt auch, warum Fliegen an der Decke landen und Geckos problemlos Wände hochlaufen können: Sie sind ganz einfach dank ihrer geringen Größe im Vergleich zu uns so unglaublich leicht, dass sie mit klebrigen Füßen der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen können.

  pasted-image-19Vorsprung durch Technik — und Zwergwuchs

Gleichzeitig birgt Zwergwuchs jedoch auch ganz neue Gefahren, die großen Tieren wie uns völlig unbekannt sind – wie etwa Wasser. Wenn wir pitschnass aus der Dusche kommen, wiegt das Wasser auf unserer Haut im Vergleich zu unserem Körpergewicht so wenig, dass wir seine Masse noch nicht einmal spüren. Eine nasse Maus dagegen wiegt auf einmal doppelt so viel. Eine nasse Fliege muss sogar ein Vielfaches ihres Trockengewichtes tragen und ist deshalb völlig außer Gefecht gesetzt und dadurch sofort in Lebensgefahr. Deshalb wagen sich viele Insekten auch nicht zu nah ans Wasser und trinken aus sicherer Entfernung mit einem langen Rüssel. Hierzu Haldane: “Ein Insekt, das etwas trinken geht, begibt sich in eine genau so große Gefahr wie ein Mensch, der sich bei der Suche nach Nahrung über einen Abgrund hinauslehnt.”

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Na dann Prost!

(“Graphium nomius by kadavoor” © 2010 Jeevan Jose, Kerala, India; Creative Commons)

 

Aber damit noch lange nicht genug. Winzige Tiere wie zum Beispiel kleine Würmer können ihre Muskeln mit ausreichend Sauerstoff versorgen, indem sie ihn ganz einfach durch ihre glatte Haut einströmen lassen. Wenn sie in jeder Dimension um das zehnfache wachsen wollen, wiegen sie das tausendfache – und ihre Muskeln benötigen auch die tausendfache Menge an Sauerstoff, um die gleichen Bewegungen auszuführen. Hier ergibt sich sehr schnell ein Problem, denn ihre Hautoberfläche hat ja nur um den Faktor 100 zugelegt.

Die Evolution hat dieses Problem gelöst, indem sie bei allen großen Landtieren einschließlich uns Menschen eine riesige Fläche zur Aufnahme von Sauerstoff in den Körper hinein verlegt hat – unsere Lungen. Diese saugen dank ihrer schwammartigen Struktur auf einer Fläche von der Größe eines halben Tennisfeldes Sauerstoff auf.

Das gleiche Prinzip trifft auf unser Verdauungssystem zu – denn eine zehnfache Größe erfordert auch eine tausendfache Nahrungsaufnahme zur Versorgung der Muskeln. Deshalb sind unsere Därme so verschlungen und haben eine Wandstruktur ähnlich einem Flokatiteppich – dadurch ergibt sich eine Oberfläche von zwei ganzen Tennisplätzen!

“Die höheren Tiere sind nicht etwa größer als die niederen, weil sie komplizierter sind. Sie sind komplizierter, weil sie größer sind. Das gleiche gilt für Pflanzen, die ihre Oberfläche dadurch erhöhen, indem sie Blätter und Wurzeln bilden. Die vergleichende Anatomie besteht zu einem Großteil daraus, die Anstrengung zu beschreiben, Oberflächen im Verhältnis zum Volumen zu erhöhen.”

Kurzum: Klein sein ist wirklich etwas ganz anderes als groß sein.


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